Im Gang der Jungenschule läuft ein kleiner Spitz vor der Klassentür der 5b auf und ab. "Na, du wartest wohl auf dein Herrchen", sagt ein Lehrer, der gerade vorbeikommt und krault Spitz ein wenig hinterm Ohr. Zum Dank läuft er dem Davongehenden ein Stückchen nach, kehrt dann aber wieder zur Klasse zurück. Er wird immer unruhiger. Sein Herrchen müsste doch schon längst herausgekommen sein. Er springt an der Türe hoch und hascht nach der Klinke. Endlich, nach vergeblichen Versuchen, gelingt es ihm. Spitz drängt sich durch die Türöffnung. Aber was ist das? Sein Herrchen, seine Kameraden, selbst der Lehrer liegen am Boden. Spitz zupft Rolf am Jackenärmel, leckt ihm die Hand. Aber dieser rührt sich nicht. Er rennt zur Tür hinaus zum Zimmer des Direktors. Von diesem hatte manchmal etwas bekommen, und deshalb wusste er genau, wo sein Zimmer lag. Durch Zufall steht die Tür ein wenig offen. Spitz stürzt unter lautem Gebell auf den Mann zu und packt ihn am Hosenbein. "Willst du mich wohl loslassen!" schreit er. Aber Spitz ist außer Rand und Band. Er läuft zur Tür, kommt wieder zurück und zerrt den Direktor mit sich. Diesem fällt plötzlich ein, dass Spitz ja immer sein Herrchen abholt. Warum kommt er dann zu ihm? Sollte etwas passiert sein? "Ist schon gut, ich komme ja schon", beruhigt er den winselnden Hund. Doch sein Schreck ist groß, als er die ganze Klasse am Boden liegen sieht. Er ruft sofort den Arzt und den Krankenwagen. Inzwischen sind auch andere Lehrer herbeigekommen. Bestürzt schauen sie auf das Unglück. Es riecht ganz schrecklich nach Kohlengas. Wie konnte das nur passieren?
Tut-tut-tut. Der Krankenwagen hält vor der Schule. Auch der Arzt kommt die Treppe heraufgestürzt. "Tja, Kohlengasvergiftung, noch eine halbe Stunde und sie wären alle tot gewesen", stellt er fest. Der Direktor zeigt auf den Spitz. "Dieser Hund war es, der mich darauf aufmerksam gemacht hat." Dann beugt er sich über ihn. "Komm' mal mit, Spitz. Du hast dir doch ein Stückchen Wurst verdient. Ein Stückchen? Nein, du bekommst eine ganze."
Und diese Wurst hat der kleine weiße Spitz dann voller Behagen verzehrt, obwohl er gar nicht wusste, wieviel er getan hatte.
Veröffentlicht in Heft 17 "Hören und Sehen" vom 24.04.1955