Nachtwächter & Spitz


Der Deutsche Spitz als Neujahrs-Glücksbringer


Ich habe in meiner Sammlung inzwischen so einige Postkarten, auf denen ein Nachtwächter abgebildet ist, neben sich stehend oder sitzend findet sich stets ein großer Spitz. Vor allem auf alten Neujahrskarten findet man dieses Zweiergespann vor. Was hat es denn damit auf sich? Hier der Versuch einer Interpretation:

Über den Nachtwächter

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Spitz und Nachtwächter auf einer alten Postkarte

Wenn in der Stadt die Turmuhr schlug und Leben und Treiben in den Gassen ein jähes Ende fanden, die Bürger von Ehre das Licht löschten und zu Bette gingen, dann schlug die Stunde des Nachtwächters. Mit schweren, auf dem Pflaster hallenden Stiefeln, im flackernden Licht seiner rußigen Laterne, in der Hand die große Hellebarde und neben ihm sein großer Spitz, dreht er seine einsamen Runden durch die schlafende Stadt.

 

Wie der Henker, der Abdecker und der Totengräber hatte auch der Nachtwächter keinen guten Ruf. Sein Beruf gehörte zu den unehrlichen Berufen, er wurde schlecht entlohnt und lebte in eher ärmlichen Verhältnissen. Als redlicher Bürger wollte man mit ihm nichts zu schaffen haben. Allerdings bekam der Nachtwächter im Laufe der Zeit auch viel mit, denn er kannte jeden aus der Stadt und konnte allerhand Geschichten aus erster Hand erzählen.

 

Die Wächter der Nacht mussten in vergangenen Zeiten verschiedene Aufgaben übernehmen: so fand man ihn oftmals in den Wirtshäusern, jedoch nicht als Gast, sondern um die Gäste an die Sperrstunde zu erinnern und gegebenenfalls jene, die zu tief ins Glas geschaut hatten, nach Hause zu bringen. Weiterhin war es seine Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und zu kontrollieren, ob alle Haustüren verschlossen sind - und falls nicht, den Hausherren darauf aufmerksam machen. Des Weiteren war er auch für das Wecken der Bediensteten und Gewerbetreibenden zuständig.

 

Der Nachtwächter wachte, wenn andere schliefen und war übermüdet, wenn andere wach waren. Kein Wunder, dass die Nachtwächter allgemein als schlafmützig und etwas trottelig galten.

"Hört ihr Leut' und lasst euch sagen....."

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Postkarte aus den Niederlanden von 1919

Für täglich acht Stunden war der Nachtwächter im Einsatz und dabei entweder als "Leisewächter" ohne Signalhorn oder als "Lautwächter" mit Signalhorn unterwegs. Das Horn diente zur Alarmierung der Bürger bei nächtlicher Gefahr, wie durch zum Beispiel einen Brand. Der Nachtwächter trug neben dem riesengroßen Schlüsselbund, an dem sämtliche Schlüssel für alle sich innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs befindlichen Haustüren befestigt waren. Weiterhin gehörte eine Hellebarde zu seiner Ausrüstung, diese war zugleich Waffe, Werkzeug und Symbol seiner Stellung als Ordnungshüter. Nicht zu vergessen ist natürlich auch seine Laterne, mit der wahrlich oftmals Licht ins Dunkle gebracht wurde. Und nicht zu vergessen ist natürlich der große Spitz an des Nachtwächters Seite, der als Hund des kleinen Mannes und des Volkes schon immer im Verborgenen blühte - wie auch der Nachtwächter stets seinen Dienst im Verborgenen (im "Dunklen") verrichtete.

 

In der Nacht sagte der Nachtwächter die vollen Stunden an. Traditionell tat er das in der Form des Gesangs:

 

"Hört, ihr Leut' und lasst euch sagen, die Glock' am Turm hat Neun geschlagen ..."

 

Die aus einem Choral von 1603 stammende Melodie wurde zu einem Lied, welches mehr ist, als eine reine Zeitansage. Jeder Stundengesang hat einen eigenen Inhalt und hält die Bürger mit jeder Strophe zur Redlichkeit und ordentlichem Lebenswandel an. Überlieferungen zufolge meinten böse Zungen wohl schon damals, dass die wichtigste Aufgabe seines Gesangs darin bestünde, zu überprüfen, ob der Nachtwächter tatsächlich wach ist und seinen Dienste verrichtet, oder ob er etwa in einer stillen Ecke ein Schläfchen hält. 

Spitz und Nachtwächter als Symbol

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In unserem kulturellen Gedächtnis war der Nachtwächter das Symbol für das Warten. Er war der Wächter über die Zeit, er verkündigte den Lauf von Tag und Nacht – von Warten und Sehnsucht einerseits und von Erfüllung und gestillter Sehnsucht andererseits. Und in keiner Zeit im Jahr stand und steht das Warten so im Mittelpunkt, wie in den vier traditionell besinnlichen Wochen vor Weihnachten. Symbolisch gesehen war es die Aufgabe des Nachtwächters, die Menschen wohlbehalten durch die sagenumwobenen Rauhnächte ins neue Jahr zu geleiten. Und dabei half ihm sein großer Spitz.

 

Die Rauhnächte beginnen mit der Wintersonnenwende und enden im Januar am Dreikönigstag. Der Spitz, der sehr oft zusammen mit dem Nachtwächter auf Neujahrskarten abgebildet ist, war aufgrund seiner Intelligenz und seiner Wachsamkeit Symbolträger der Treue und des Gesetzes und wurde daher gern neben einem Vertreter des Gesetzes dargestellt, in diesem Falle neben dem Nachtwächter. Auch galt der Spitz seit jeher als besonders scharfer, guter Wächter. Welche Hunderasse würde sich wohl besser eignen, als er, den Wächter der Nacht zu begleiten?

 

Am Silvesterabend drehte der diensthabende Nachtwächter wie üblich seine Runden, an seiner Seite sein Spitz, zumeist ein Wolfsspitz oder Großspitz. Vor jedem Haus trug er einen segensreichen Spruch vor, der meist mit guten Wünschen fürs Neue Jahr gespickt war. Zum Dank dafür erhielt der Nachtwächter reichlich Trinkgeld, welches bei seinem kargen Gehalt auch bitter nötig war. Manchmal zogen auch zwei Nachtwächter los, um vor den Häusern der Stadtbewohner gemeinsam zu singen.

 

Der Nachtwächter repräsentierte allerdings nicht nur Ausharren und Warten, sondern auch das schon sichtbare Ende der Nacht. Er symbolisiert das Warten auf das Ende der Rauhnächte und somit das Warten auf das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings. Er fungiert dabei quasi als Verkündiger der symbolischen Wiedergeburt der Sonne und somit auch als Sinnbild des Glücksbringers zum Neuen Jahre, ähnlich dem Schornsteinfeger. Diese Metapher ist uralt und entspringt noch dem Glauben unserer germanischen Vorfahren. 

Der Nachtwächter als Symbol der "guten, alten Zeit"

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Notgeldschein aus dem Jahre 1921

Die symbolhafte Verklärung des fast schon in Vergessenheit geratenen Nachtwächters als Träger der "guten, alten Zeit" zeigt sich besonders schön auf an dem nebenstehenden Notgeldschein aus der Stadt Castrop (aus der Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg) auf, auf welchem geschrieben steht:

 

"Heinrich im Düstern mit Wolfsspitz und Schwert

hast dich als Wächter von Castrop bewährt.

Steig' aus dem Grabe und blas' uns zurück.

Alte Gemütlichkeit und altes Glück."

 

Ach ja - das waren noch Zeiten, als Spitz und Nachtwächter für Sicherheit und Ordnung sorgten! Ich kann die Verklärung ja irgendwie nachvollziehen. 🤩

 

Nachdem es lange Zeit still um den Wächter der Nacht war, kam ab den siebziger Jahren die Nachtwächterei als touristisches Angebot wieder mehr und mehr auf. So wurde 1987 die Europäische Nachtwächter- und Türmerzunft gegründet. Die Zunft zählt bis heute rund 170 Nachtwächter und Türmer aus neun europäischen Ländern. Diese treffen sich jährlich an immer wieder neuen Orten und Ländern zum Austausch. 

 

Wenn sich die "neuen" Nachtwächter jetzt noch auf ihren alten Kameraden, den Deutschen Spitz, besinnen würden......

Spitz und Wächter im Münchener Glockenspiel

Durch einen Hinweis wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass sich im Glockenspiel des Münchener Rathauses die Figuren von Nachtwächter und Spitz befinden und dort allabendlich das Münchener Kindl sicher zu Bett geleiten. Da ich das Glockenspiel selbst noch nicht gesehen habe, lasse ich an dieser Stelle die Autorin und Entdeckerin Britta Schweikl ("Der Wolfsspitz") zu Wort kommen:

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Postkarte von 1912

"Ein Geheimtipp – selbst für Münchner – ist aber das abendliche Glockenspiel um 21 Uhr. Es dauert nur 2 Minuten und findet in den beiden mit Scheinwerfern bestrahlten Säulenrotunden links und rechts statt.

 

Um 21 Uhr schlägt die Rathausglocke, Scheinwerfer erleuchten die beiden Erker (um diese Uhrzeit ist es nur im Juni und Juli noch hell). Links rührt sich etwas, was jeder Spitzbesitzer kennt: Tür auf, Spitzkopf kommt durch! Zum Nachtwächterruf aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ trottet der Spitz einige Sekunden lang an den Säulen vorbei. Während das Spitz-Hinterteil langsam im Rathausturm verschwindet, tritt hinter ihm der Nachtwächter hervor und dreht seine Runde; er trägt eine Hellebarde, ein Horn und eine beleuchtete Lampe. Nach kurzer Pause erklingt das Wiegenlied von Johannes Brahms. In der rechten Rotunde marschiert nun das „Münchner Kindl“, die Symbolfigur aus dem Stadtwappen (das eigentlich einen Mönch darstellt) nach links. Gleich hinter ihm folgt ein Engel, der schützend seine Rechte über das Kindl hält und ihm den Gute-Nacht-Segen erteilt. Nachdem beide wieder im Turm angelangt sind, erlischt das Licht. Das romantische Schauspiel ist zu Ende, Nachtwächter, Schutzengel – und Spitz! – haben das Münchner Kindl zur Ruhe geleitet und München kann behütet schlafen. Und Schutz können wir momentan durchaus brauchen." [1]

 

Wer also mal in München ist, sollte sich dieses Schauspiel unbedingt anschauen. 😍 Bis dahin gibt es auf YouTube ein Video des Glockenspiels für alle neugierigen Nicht-Münchener:



Stand: 18.11.2023

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