Weil die weißen Großspitze als eine vom Aussterben bedrohte Varietät des Deutschen Spitzes leider so selten geworden sind, werden sie vom Laien oft für Samojeden gehalten. Dabei unterscheiden sich Großspitze und Samojeden sowohl im Äußeren wie auch im Wesen doch recht deutlich voneinander - zumindest, wenn man weiß, worauf man achten muss. Während Samojeden nordische Hüte- und Schlittenhunde sind, sind unsere Großspitze quasi die (!) urdeutschen Hofhunde. Die Samojeden sind zwar mit unseren Deutschen Spitzen verwandt, aber ihre typischen Charaktereigenschaften haben sich im Laufe der Jahrhunderte sehr gewandelt - sie haben sich nach und nach immer mehr an ihre nordische Umgebung angepasst.
Die ursprünglichen Samojeden waren Gebrauchshunde, die in ihrer angestammten Heimat, dem hohen Norden, vorwiegend als Schlitten- und Jagdhunde verwendet wurden. Dort, wo die Verhältnisse weder Autos noch Pferdegespanne ermöglichen, wurden die Samojeden - den harten Daseinskampf der hiesigen Völker teilend - auf höchste Leistung gezüchtet. Spielarten der Rasse, wie die Zwerge beim Deutschen Spitz, konnten sich deshalb auch nicht entwickeln. Auf diese Hunde mussten sich die Menschen in dieser unwirtlichen Eishölle - wo Temperaturen bis minus 50 Grad keine Seltenheit sind - verlassen können. In den Zelten aus Tierhäuten und Holz nahmen die Kinder ihre Samojeden als Wärmflaschenersatz mit ins Bett, aus ihrer ausgekämmten Wolle fertigten die Samojedenfrauen Decken und Kleidung und den Männern waren die Hunde treue Gefährten beim Hüten der Rentiere. Verließ der Stamm einen Lagerplatz, so zogen die Samojedenhunde die Schlitten mit den Zelten und den anderen Habseligkeiten über sehr weite Distanzen. Sie waren robust, genügsam und agierten selbständig.
Die früheren Aufgaben der Samojeden waren also:
Auch die Deutschen Spitze waren - wie die Samojeden - dem einfachen Volk durch die Jahrhunderte hinweg unentbehrlich: sei es als Begleiter und Wächter von Hab und Gut, sei es als Spielgefährten für die Kinder. Und ebenso waren sie Rattenfänger, Kuhhirten und Gänsehüter. Im Gegensatz zu den Samojeden waren jagende Spitze absolut unerwünscht, denn sie durften das ihnen anvertraute Gut niemals verlassen. Die selbständig handelnden, anspruchslosen Hunde mussten jedem Fremden gegenüber misstrauisch sein und bis zur Selbstaufgabe Haus, Hof und Familie gegen jede fremde Bedrohung verteidigen.
Die Aufgaben des Deutschen Spitzes waren also:
Auf gar keinen Fall durften Deutsche Spitze:
Schon die im Detail verschiedenen Aufgabengebiete von weißen Großspitzen und Samojeden zeigen die Unterschiede zwischen beiden Rassen klar auf. Generell heben sich die Deutschen Spitze von allen anderen spitzartigen Hunden - wie dem Lapphund, dem Elchhund und natürlich auch dem Samojeden - deutlich dadurch ab, dass sie als einzige Rasse aus der FCI-Gruppe 5 keinerlei Jagdtrieb aufweisen dürfen.
Zurück zu den Samojeden: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen britische und deutsche Forscher erste Expeditionen zum Nordpol zu unternehmen und dabei den eiskalten Norden Russlands zu erkunden. Die ausdauernden Hunde der samojedischen Völker in Sibirien erwiesen sich dabei als äußerst nützlich: die Forscher nutzten sie nämlich dort als Schlittenhunde, wo Autos und Pferdegespanne versagten.
Mit dem Aufkommen der systematischen Züchtung von Hunderassen um die Jahrhundertwende kamen schließlich die ersten Samojeden nach England, als der britische Zoologe Ernest Kilbourne Scott im Jahr 1889 die ersten weißen und cremefarbenen Hunde aus Sibirien importierte. In ihrer Heimat kommen die Samojeden bis heute in ganz verschiedenen Farbschlägen vor, von weiß über braun und schwarz bis hin zu zweifarbigen oder zobelfarbenen Tieren. Von der FCI werden diese Färbungen jedoch nicht anerkannt.
Heutzutage gibt es im Prinzip zwei verschiedene Typen in der Samojedenzucht: Samojeden aus der "Leistungslinie" und Samojeden aus der sogenannten "Showlinie". Bei jeder Rasse ist eine Leistungslinie immer auf den Schwerpunkt des Ursprungs der Rasse gerichtet. Beim Samojeden ist es die Verwendung als Schlittenhund. Das wiederum bedeutet, dass Hunde aus der "Leistungslinie" beispielsweise eine andere Fellstruktur aufweisen und sich auch ihre körperlichen Merkmale deutlich von den Hunden aus der "Showlinie" unterscheiden. Die Hunde, die noch dem Urtyp des Samojeden entsprechen, ähneln unseren weißen Großspitzen optisch übrigens weitaus mehr als die Hunde aus der Showlinie.
Die Gesamterscheinung unserer Deutschen Spitze zeigt eine quadratische, kurze und gedrungene Figur, während der Samojede das typische Trabergebäude eines Gebrauchs- bzw. Arbeitshundes aufweist. Sein Rücken ist länger, seine Rute liegt weniger satt auf dem Rücken auf, die Hinterläufe sind weitaus stärker gewinkelt. Auch in der Kopfform zeigen sich wesentliche Unterschiede: Der Fang des Samojeden ist länger, die Ohren ebenso und sind tiefer angesetzt, der Oberschädel flacher, die Augen sind deutlich schräger (eher mongolischen Typs) und stehen enger als beim Spitz.
Die Haarbeschaffenheit der Samojeden aus der Leistungslinie (also der eigentlichen Samojeden) ist struppiger, etwas kürzer und zeigt weniger ausgeprägt die üppige Halskrause und die buschige Rute der Deutschen Spitze. Auch setzt sich die Mähne bei den Großspitzen sehr deutlich vom restlichen Fell ab, während der Übergang bei den Samojeden fließend ist. Der Samojede trägt eher eine Art "Ganzkörpermähne".
Interessant ist auch die Verschiedenheit der Pfoten: während wir bei den Spitzen sehr kleine - sogenannte "Katzenpfoten" - sehen wollen, schauen die Pfoten der Samojeden eher wie Teller aus - auch durch die an die klimatischen Verhältnisse im Norden angepasste, sehr dichte Behaarung dieser. Dies ist ein Geschenk, das die Natur den Samojeden gegen als Schutz gegen Schnee und Eis mitgegeben hat.
Die Samojeden sind mit einer idealen Widerristhöhe von 57 ± 3 cm für Rüden und 53 ± 3 cm für Hündinnen nicht nur deutlich größer als die Deutschen Großspitze, sondern auch deutlich schwerer: sie bringen bis zu 30 Kilogramm auf die Waage (Hündinnen mindestens 17 Kilogramm).
Am besten erkennt man die Unterschiede zwischen weißen Großspitzen und Samojeden übrigens während ihrer Welpenzeit, insbesondere bei Spitz-Samojeden-Mischlingen. Rassespezifische Merkmale, die sich später noch verwachsen, sind beim Welpen meist noch ziemlich gut sichtbar.
Samojedenwelpen erkennt man gut daran, dass ihre Augen nicht nur enger stehen als die Augen von jungen Spitzen, sondern dass diese seitlich nach unten kippen und am Oberlid von sehr kräftigen, weißen Wimpern umrahmt sind. Die Augen des jungen Spitzes hingegen stehen weder eng noch sind ihre Wimpern derart auffällig. Auch haben junge Samojeden wie aufgeplustert wirkende Fellbäckchen, junge Spitze nicht.
Und nun schauen sie sich das nebenstehende Bild 4 nochmal genau an! Der Welpe (Samojede) ganz links unterscheidet sich doch sehr deutlich von den beiden Großspitzwelpen, die rechts im Bild zu sehen sind. Wimpern, Kippaugen, dicke Bäckchen. Haben die Spitze nicht. Der Welpe in der Mitte wurde zwar offiziell als Großspitz verkauft, wer jedoch Augen im Kopf hat, sieht Wimpern, Kippaugen, Bäckchen. Schönes Kuckucksei. 😬
Weil Samojeden ursprünglich als Jagd- und Schlittenhunde eingesetzt wurden, sind sie eher relativ aktiv. Die einstigen Arbeitshunde brauchen viel Aufmerksamkeit und machen sich mit ihrer einnehmenden Art in kurzer Zeit viele Freunde unter den Menschen. Heutige Samojeden aus Europa oder den USA sind allerdings nicht mehr die arbeitswütigen Allroundhunde, die sie in ihrer sibirischen Heimat waren: sie zeigen Besucher zwar durch Bellen an, lassen sich aber schnell durch freundliche Worte oder Leckerli bestechen. Als Wachhunde sind sie deshalb absolut nicht geeignet - ganz im Gegensatz zu unseren Deutschen Spitzen. Diese sind, sofern sie korrekt gezüchtet und erzogen wurden, ganz hervorragende Wächter.
Vielen Gerüchten zufolge wurden ab Ende der 1980er-Jahre immer mal wieder heimlich Samojeden in die Population der weißen Großspitze eingekreuzt. Aber auch schon in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg zeigen alte Fotos erstaunlich große und sehr kräftige, weiße Großspitze. Doch wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein: aufgrund der seit dem Weltkriege bis heute durchgehend gefährlich kleinen Population der weißen Großspitze blieb den Züchtern im Prinzip keine andere Möglichkeit, als sozusagen "kreativ" zu werden. Ohne Hunde keine Zucht! Zugutekam ihnen sicher, dass die Samojeden im Deutschland der 1950er für einige Jahre vom "Verein für Deutsche Spitze" betreut wurden. Weil aber natürlich nicht sein kann, was nicht sein darf, kam es zu Berichten im Vereinsheft "Der Deutsche Spitz" wie diesem hier.
Ob wirklich Fremdrassen in den Deutschen Großspitz eingekreuzt wurden, ist weder dezidiert nachweisbar, noch spielt es heutzutage eine Rolle. Solange das Hauptaugenmerk der Züchter in der Bewahrung des eigentlichen Großspitzes liegt - und nicht nur auf Äußerlichkeiten - machen derartige, aus der Not heraus geborenen, "Experimente" den Kohl im Prinzip auch nicht mehr fett.
Gerüchte über heimliche Einkreuzungen gibt es übrigens auch bei den Samojeden: mit der Schließung der Handelsroute zwischen dem Westen und Sibirien nach dem Zweiten Weltkrieg schloss sich auch die Chance für die Züchter, an Frischblut aus der nordischen Heimat der Samojeden heranzukommen. Dies stellte die Erhaltung der Rasse vor eine sehr große Herausforderung. Aus mehreren Berichten geht schließlich hervor, dass ungefähr im Zeitraum von 1930 bis 1950 Chow-Chows in die Samojedenpopulation eingekreuzt wurden und wohl ebenfalls Kreuzungen mit Wolfsspitzen stattfanden. Not macht halt erfinderisch.... 😉
Auffällig ist, dass die Rasse der Samojeden, die einst in England zur Vollendung geformt worden ist, kaum ein Jahrhundert später im selben Land im Prinzip fast keine Hunde des eigentlichen Urtyps mehr aufzuweisen hat. Komisch. Das kommt mir ja irgendwie bekannt vor...🤔
Zum Unterschied im Gebäude: "Der Eskie ist kein Deutscher Spitz"
Rassestandard des Deutschen Spitzes: "Der alte Rassestandard"
Über den großen Spitz: "Der Großspitz"
Bilderquellen:
(1) https://pin.it/7hUFFsa
(2) © Birgit Kaiser Fotografie (www.tierportraits-b-kaiser-de.webnode.com)
(3) Aus "Der Deutsche Spitz", Ausgabe 16, Seite 9
(4) https://pin.it/78zfTp9
(5) https://pin.it/Q9dbqCA
Stand: 14.10.2023