Der Spitz als Blindenhund? Hä? O doch - Spitze wurden früher durchaus als Blindenführhunde eingesetzt. So beschrieb Dr. Hans Haupt in "Die Geschichte der Blindenhunde", die in Wiesbaden veröffentlicht worden war, einen jungen Österreicher, der einen Spitzer zum Blindenführhund bekam:
Im Paris des 18. Jahrhunderts gab es nämlich ein Institut, das Blindenhospital "Les Quinze-Vingts", dessen blinde Patienten von Hunden durch die Straßen der Stadt geführt wurden. Der Ruf dieser Einrichtung drang bis nach Wien, wo im Jahre 1780 ein Josef Reisinger mit 20 Jahren erblindet war. Nach acht Jahren bekam er einen Hund und dieser Hund war ein Spitz, der besonders dazu abgerichtet worden war, vor seinem Herrn herzugehen - und nicht wie im Pariser Blindenhospitals an der Seite des Menschen.
Reisingers Spitz führte nach einjähriger Abrichtung so gut, dass Passanten zuweilen glaubten, Reisinger sei nicht wirklich blind, sondern verstelle sich nur, um Mitleid zu erregen und so mehr Almosen zu erhalten. Jener Spitz diente seinem Herren bis ins hohe Alter.
Ein anderes Zeugnis von der Verwendung des Deutschen Spitzes als Blindenhund findet sich im 1847 erschienenen Buch des Schweizers Jakob Birrer. Darin beschreibt er seine Methode zur Ausbildung eines Hundes zum Blindenhund en détail - und auch hier spricht der Verfasser zuerst von einem Spitz, welcher ihm fünf Jahre als Führhund diente:
"Schon vor circa 4-5 Jahren hörte ich, dass in Paris mancher Blinde einen Pudel als Führer habe, was mir aber nicht glaubwürdig schien. Bei diesem Anlass sprach ich mich überhaupt aus, keinen Hund zum Führer haben zu wollen; doch kam ich vor zwei Jahren auf den Einfall, die Probe selbst mit einem Spitzerhund vorzunehmen [..].
[...] Um noch ein Wort über die Pudel zu sagen, so gebe ich zu, dass dieselben die beste Rasse zur Dressur sind, da sie sich nebenbei zu andern belustigenden Künsten abrichten lassen; allein sie bedürfen einer eigenen Erziehung. Während ein Spitzerhund, selbst auf großen Wanderungen, ausdauert, so lässt sich der Pudel nur in Städten mit einigem Nutzen, und auch da oft nur als Schoßhündchen, gebrauchen, und ist zudem, besonders im Sommer, träge. Er besitzt große Empfindlichkeit und leidet keine Züchtigung. Nicht nur aber würde ich den Spitzer dem Pudel vorziehen, weil er ausdauernder als dieser, sondern weil er auch leichter zu dressieren ist; einzig muss man bei dieser Rasse darauf achten, dass das Tier zehn,. höchstens sechszehn Monate alt und, um großen Verlegenheiten auszuweichen, von männlicher Art sei."*
Die Methode Birrers basierte vor allem darauf, dem Hund durch Strafen begreiflich zu machen, was er zu tun und was er zu lassen habe. Als wesentliche Mittel der Dressur dienten ihm jedoch auch Lob und Belohnung.
Nachdem diese ersten Ansätze der Nutzung des Hundes für blinde Menschen zunächst wieder in Vergessenheit geraten sind, machte nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges - aufgrund der Vielzahl der durch Verwundungen an der Front blind gewordenen Veteranen - der Wiener Arzt Dr. L. Senfelder den Vorschlag, diesen erblindeten Männern doch einen Führhund an die Hand zu geben. Dieser Vorschlag fand jedoch zunächst in Österreich kein Gehör. Nach Deutschland kam die Idee des Blindenführhundes durch Geheimrat Heinrich C. Stalling, den Vorsitzenden des „Deutschen Vereins für Sanitätshunde”. Mit Unterstützung des Kriegsministeriums gründete er im August 1916 die erste Blindenführhundschule der Welt in Oldenburg und bereits im Oktober 1916 wurde der erste Blindenführhund übergeben. Es wurden allerdings andere, vermeintlich geeignetere Rassen für diesen Zweck verwendet, wie etwa der Deutsche Schäferhund.
Auf der Generalversammlung des Jahres 1920 wurde allerdings die Ausbildung von Blindenhunden als weiterer Vereinszweck mit in die Satzung des "Vereins für Deutsche Spitze" aufgenommen.
Im Jahre 1985 berichtete die tschechoslowakische Zeitschrift PES (Nr. 3/85) von einem zum Blindenhund ausgebildeten Wolfsspitz namens Tim. Sein Frauchen Milena Matouschek erblindete innerhalb von 9 Jahren ganz allmählich, daher benötigte sie dringend einen Blindenhund. Durch einen schrecklichen Vorfall in ihrer Jugend hatte sie jedoch eine unüberwindliche Angst vor Schäferhunden - und kam so auf den Wolfsspitz. Nach etlichem Hin und Her wurde Tim vom zuständigen Verband zum Blindenhund ausgebildet. Anfangs hatte jedoch kaum jemand Hoffnung, dass die Ausbildung erfolgreich sein könne, da es ja bekannt ist, dass der Spitz ein anderes Wesen hat, als ein Schäferhund: er kann sehr eigensinnig, dickschädelig und trotzig sein. Andererseits ist der Deutsche Spitz aber auch besonders anhänglich und freundschaftlich seinem Herren gegenüber eingestellt und daher auch durchaus bereit, sich für ihn einzusetzen. Nach sieben Monaten war es dann geschafft: Tim war ein ausgebildeter und guter Blindenhund für sein Frauchen Milena.
Interessanter Fakt: Bis zum Ersten Weltkrieg wurden die Führhunde für gewöhnlich von den Blinden selbst ausgebildet, ganz im Gegenteil zur heutigen Herangehensweise. Heutzutage werden die Hunde erst nach der Ausbildung in der Blindenhundeschule an die Blinden übergeben, was in den seltensten Fällen wirklich funktioniert - auch weil die Hunde relativ schnell nicht mehr gut arbeiten, wenn die Ausbildung durch den neuen Besitzer nicht fortgesetzt wird.
*"Erinnerungen, merkwürdige Lebensfahrten und besondere Ansichten des Jakob Birrer", H. Nägeli, 1844, Seite 158 und 162
Stand: 23.08.23
Kees Tinga (Montag, 01 Januar 2024 21:50)
Ich möchte mich zuerst vorstellen. Meine Name ist Kees Tinga und bin sehr interessiert in die Geschichte des Blindenhundes. Ist es möglich die Bildern bei diesem Artikel zu bestellen?
Vielen Dank für ihren Antwort!
c.tinga@planet.nl